de
Seitenbanner
Menu
Nachlesen

Partielle Integration

Bei der partiellen Integration handelt es sich um eine grundlegende Regel der Integralrechnung, die beschreibt, wie die Berechnung einer Stammfunktion eines Produkts aus zwei Funktionen auf die Berechnung der Stammfunktionen bzw. Ableitungen der einzelnen Funktionen zurückgeführt werden kann.

Definition

Gegeben sei ein Intervall $D$ der reellen Zahlen sowie zwei auf diesem Intervall definierte, stetig differenzierbare Funktionen $u$ und $v$. Integrale von Produkten können nach den folgenden beiden Regeln umgeformt werden:

\begin{align*} \int{u^\prime(x) \cdot v(x)\ dx} &= u(x) \cdot v(x) - \int{u(x) \cdot v^\prime(x)\ dx} \\[0.5em] \int{u(x) \cdot v^\prime(x)\ dx} &= u(x) \cdot v(x) - \int{u^\prime(x) \cdot v(x)\ dx} \end{align*}

Oder in kurz:

\begin{align*} \int{u^\prime \cdot v} &= u \cdot v - \int{u \cdot v^\prime} \\[0.5em] \int{u \cdot v^\prime} &= u \cdot v - \int{u^\prime \cdot v} \end{align*}

Beschreibung des Verfahrens

Grundidee

Mithilfe der Regel der partiellen Integration kann das Integral des Produkts zweier Funktionen, das oftmals nicht direkt berechnet werden kann, auf ein anderes Integral zurückgeführt werden. Die Grundgedanke hierbei ist, dass

  • das neue Integral einfacher zu berechnen ist (vgl. Beispiele 1-3),
  • die resultierende Gleichheit nach dem gesuchten Integral umgestellt werden kann (vgl. Beispiel 4).

Gedanklich wird hierzu das zu integrierende Produkt so betrachtet, als ob einer der beiden Faktoren in abgeleiteter Form, der andere Faktor in nicht abgeleiteter Form vorliegt. Im neuen Integral, das beim Anwenden der Regel der partiellen Integration auf der rechten Seite der Gleichung entsteht, sind diese Rollen vertauscht.

Wahl von $u$ und $v$

Handelt es sich bei einem der Faktoren um ein Polynom (dazu gehören auch Potenzen $x^n$), so kann durch Anwenden der partiellen Integration der Grad dieses Polynoms verringert werden. Abhängig vom Grad des Polynoms kann durch mehrfaches partielles Integrieren so ein Polynom $0$-ten Grades erhalten werden – eine Konstante. Hierdurch wird das Produkt zweier Funktionen in ein konstantes Vielfaches einer Funktion überführt und kann in vielen Fällen direkt berechnet werden.

Abweichend vom vorherigen Fall kann es sinnvoll sein, das Nicht-Polynom als nicht abgeleitete Funktion aufzufassen, wenn es sich bei dessen Ableitung um eine rationale Funktion handelt, beispielsweise bei $\ln$ oder $\arctan$ (vgl. Beispiel 3)

Handelt es sich bei beiden Funktionen um beliebig oft integrierbare/differenzierbare Funktionen, so ist die Wahl in der Regel beliebig. Dieser Fall basiert auf dem Grundgedanken, dass durch (ggf. mehrfaches) partielles Integrieren auf beiden Seiten dasselbe Integral steht, nach dem die Gleichung dann umgestellt wird (vgl. Beispiel 4) – dies ist allerdings nicht in allen Fällen möglich.

Beispiele

Beispiel 1

Es soll $\int{x \cdot e^x\ dx}$ bestimmt werden. Es wird $u = x$ und $v^\prime = e^x$ gewählt. Hieraus ergeben sich $u$, $u^\prime$, $v$ und $v^\prime$ wie folgt:

\begin{align*} u &= x & v &= e^x \\[0.5em] u^\prime &= 1 & v^\prime &= e^x \end{align*}

Nach der Regel der partiellen Integration folgt somit

\begin{align*} \int{\underbrace{x}_{u} \cdot \underbrace{e^x}_{v^\prime}\ dx} &= \underbrace{x}_{u} \cdot \underbrace{e^x}_{v} - \int{\underbrace{1}_{u^\prime} \cdot \underbrace{e^x}_{v}\ dx} \\[0.5em] &= x \cdot e^x - \int{e^x\ dx} \\[0.5em] &= x \cdot e^x - e^x \\[0.5em] &= \bigl( x-1 \bigr) \cdot e^x \end{align*}

Beispiel 2

Es soll $\int{(x^2+1) \cdot e^x}$ bestimmt werden. Es wird $u=x^2+1$ und $v^\prime = e^x(x)$ gewählt. Hieraus ergeben sich $u$, $u^\prime$, $v$ und $v^\prime$ wie folgt:

\begin{align*} u &= x^2+1 & v &= e^x \\[0.5em] u^\prime &= 2x & v^\prime &= e^x \end{align*}

Nach der Regel der partiellen Integration folgt somit

\begin{align*} \int{\underbrace{(x^2+1)}_{u} \cdot \underbrace{e^x}_{v^\prime}\ dx} &= \underbrace{(x^2+1)}_{u} \cdot \underbrace{e^x}_{v} - \int{\underbrace{2x}_{u^\prime} \cdot \underbrace{e^x}_{v}\ dx} \\[0.5em] &= \bigl( x^2+1 \bigr) \cdot e^x - 2 \cdot \int{x \cdot e^x\ dx} \\[0.5em] &\overset{(\star)}{=} \bigl( x^2+1 \bigr) \cdot e^x - 2 \cdot \bigl( x \cdot e^x - e^x \bigr) \\[0.5em] &= \bigl( x^2+1 \bigr) \cdot e^x - 2x \cdot e^x + 2e^x \\[0.5em] &= \bigl( x^2 - 2x + 3 \bigr) \cdot e^x \end{align*}

Bei $(\star)$ wird zur Berechnung des Integrals auf der rechten Seite erneut die partielle Integration verwendet, die in diesem Fall genau Beispiel 1 entspricht.

Beispiel 3

Es soll $\int{x^9 \cdot \ln(x)\ dx}$ bestimmt werden. Es wird $u^\prime = x^9$ und $v = \ln(x)$ gewählt. Hieraus ergeben sich $u$, $u^\prime$, $v$ und $v^\prime$ wie folgt:

\begin{align*} u &= \frac{1}{10}x^{10} & v &= \ln(x) \\[0.5em] u^\prime &= x^9 & v^\prime &= \frac{1}{x} \end{align*}

Nach der Regel der partiellen Integration folgt somit

\begin{align*} \int{\underbrace{x^9}_{u^\prime} \cdot \underbrace{\ln(x)}_{v}\ dx} &= \underbrace{\frac{1}{10}x^{10}}_{u} \cdot \underbrace{\ln(x)}_{v} - \int{\underbrace{\frac{1}{10}x^{10}}_{u} \cdot \underbrace{\frac{1}{x}}_{v^\prime}\ dx} \\[0.5em] &= \frac{1}{10}x^{10} \cdot \ln(x) - \frac{1}{10} \int{x^9\ dx} \\[0.5em] &= \frac{1}{10}x^{10} \cdot \ln(x) - \frac{1}{10} \cdot \frac{1}{10} x^{10} \\[0.5em] &= \frac{1}{10}x^{10} \cdot \left( \ln(x) - \frac{1}{10} \right) \end{align*}

Beispiel 4

Es soll $\int{\sin(x) \cdot \cos(x)\ dx}$ bestimmt werden. Es wird $u = \sin(x)$ und $v^\prime = \cos(x)$ gewählt. Hieraus ergeben sich $u$, $u^\prime$, $v$ und $v^\prime$ wie folgt:

\begin{align*} u &= \sin(x) & v &= \sin(x) \\[0.5em] u^\prime &= \cos(x) & v^\prime &= \cos(x) \end{align*}

Nach der Regel der partiellen Integration folgt somit

\begin{align*} \int{\underbrace{\sin(x)}_{u} \cdot \underbrace{\cos(x)}_{v^\prime}\ dx} &= \underbrace{\sin(x)}_{u} \cdot \underbrace{\sin(x)}_{v} - \int{\underbrace{\cos(x)}_{u^\prime} \cdot \underbrace{\sin(x)}_{v}\ dx} \end{align*}

Im Gegensatz zu den Beispielen 1-3 entspricht das Integral auf der rechten Seite (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) wieder dem Ausgangsintegral. Die partielle Integration hat folglich zu keiner Vereinfachung des ursprünglichen Integrals geführt – auch mehrfaches partielles Integrieren wird folglich keine Lösung liefern. Allerdings kann die erhaltene Gleichung nach dem Integral umgestellt werden:

\begin{align*} 2 \cdot \int{\sin(x) \cdot \cos(x)\ dx} &= \sin^2(x) \\[0.5em] \int{\sin(x) \cdot \cos(x)\ dx} &= \frac{1}{2} \cdot \sin^2(x) \end{align*}

Herleitung

Die Produktregel der Differentialrechnung besagt, dass für zwei stetig differenzierbare Funktionen $u,v$ die folgende Gleichheit gilt:

\[ {\Bigl( u(x) \cdot v(x) \Bigr)}^\prime = u^\prime(x) \cdot v(x) + u(x) \cdot v^\prime(x). \]

Zunächst werden beide Seiten der Gleichung integriert:

\[ \int{{\Bigl( u(x) \cdot v(x) \Bigr)}^\prime\ dx} = \int{\Bigl( u^\prime(x) \cdot v(x) + u(x) \cdot v^\prime(x) \Bigr)\ dx}. \]

Anwenden des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung sowie der Summenregel für Integrale ergibt:

\[ u(x) \cdot v(x) = \int{u^\prime(x) \cdot v(x)\ dx} + \int{u(x) \cdot v^\prime(x)\ dx}. \]

Abschließendes Umstellen ergibt die Regel(n) der partiellen Integration:

\begin{align*} \int{u^\prime(x) \cdot v(x)\ dx} &= u(x) \cdot v(x) - \int{u(x) \cdot v^\prime(x)\ dx} \\[0.5em] \int{u(x) \cdot v^\prime(x)\ dx} &= u(x) \cdot v(x) - \int{u^\prime(x) \cdot v(x)\ dx}. \end{align*}