Vektorraum
Ein Vektorraum oder linearer Raum ist eine algebraische Struktur, die in vielen Teilgebieten der Mathematik verwendet wird. Sie stellt den zentralen Untersuchungsgegenstand der linearen Algebra dar. Die Elemente eines Vektorraums werden Vektoren genannt und können addiert und mit Skalaren multipliziert werden. Das Ergebnis ist wieder ein Element desselben Vektorraums.
Definitionen
Vektorraum
Bei einem Vektorraum \(\mathcal{V} = \bigl(V,\oplus,\odot\bigr)\) über einem Körper \(\mathcal{K} = \bigl(K,+,\cdot\bigr)\) (kurz: \(\mathbf{\mathcal{K}}\)-Vektorraum) handelt es sich um eine algebraische Struktur, die aus einer Menge \(V\), einer darauf definierten inneren zweistelligen Verknüpfung $\oplus: V \times V \rightarrow V$ (die Vektoraddition) sowie einer äußeren zweistelligen Verknüpfung $\odot: K \times V \rightarrow V$ (die skalare Multiplikation) besteht. Es handelt sich bei \(\bigl(V,\oplus\bigr)\) um eine kommutative Gruppe. Für die skalare Multiplikation $\odot$ existiert ein neutrales Element und es gelten die Assoziativ- und Distributivgesetze.
Für die Vektoraddition \(\oplus\) gelten die folgenden Eigenschaften:
- Die Verknüpfung $\oplus$ ist assoziativ. Für alle $u,v,w \in V$ gilt: \[ \bigl( u \oplus v \bigr) \oplus w = u \oplus \bigl( v \oplus w \bigr) = u \oplus v \oplus w. \]
- Es existiert ein neutrales Element $0_V \in V$, so dass für alle $v \in V$ gilt: \[ 0_V \oplus v = v = v \oplus 0_V . \]Das eindeutig bestimmte Element $0_V$ wird als Nullvektor bezeichnet und ist sowohl links- als auch rechtsneutral bezüglich der Verknüpfung \(\oplus\).
- Zu jedem Element $v \in V$ existiert ein inverses Element $-v$, für das gilt: \[ \bigl( -v \bigr) \oplus v = 0_V = v \oplus \bigl( -v \bigr). \]Das additive inverse Element \(-v\) von \(v\) ist eindeutig bestimmt und ist sowohl links- als auch rechtsinvers.
- Die Vektoraddition $\oplus$ ist kommutativ. Für alle $u,v \in V$ gilt: \[ u \oplus v = v \oplus u. \]
Für die skalare Multiplikation $\odot$ gelten die folgenden Eigenschaften:
- Für alle $\lambda, \mu \in K$, $v \in V$ gilt (Assoziativgesetz): \[ \bigl( \lambda \cdot \mu \bigr) \odot v = \lambda \odot \bigl( \mu \odot v \bigr). \]
- Es existiert ein neutrales Element $1_K \in K$, so dass für alle $v \in V$ gilt: \[ 1_K \odot v = v. \]
- Zusammen mit der Vektoraddition $\oplus$ gilt für alle $\lambda \in K$, $u,v \in V$ das folgende Distributivgesetz: \[ \lambda \odot \bigl( u \oplus v \bigr) = \bigl( \lambda \odot u \bigr) \oplus \bigl( \lambda \odot v \bigr). \]
- Zusammen mit der Addition $+$ im Körper $\mathcal{K}$ gilt für alle $\lambda,\mu \in K$, $v \in V$ das folgende Distributivgesetz: \[ \bigl( \lambda + \mu \bigr) \odot v = \bigl( \lambda \odot v \bigr) \oplus \bigl( \mu \odot v \bigr). \]
Untervektorraum
Hauptartikel: Untervektorraum
Seien \(\mathcal{V} = \bigl(V,\oplus,\odot\bigr)\) ein Vektorraum über einem Körper \(\mathcal{K}\) und \(U \subseteq V\) eine Teilmenge der Trägermenge \(V\). Es handelt sich bei \(\mathcal{U} = \bigl(U,\oplus,\odot\bigr)\) um einen Untervektorraum (auch Unterraum genannt) von \(\mathcal{V}\), falls es sich bei \(\mathcal{U}\) ebenfalls um einen Vektorraum handelt. Dies ist genau dann der Fall, wenn es sich bei \(\bigl(U,\oplus\bigr)\) um eine Untergruppe von \(\bigl(V,\oplus\bigr)\) handelt, die zudem abgeschlossen bzgl. der skalaren Multiplikation \(\odot\) ist, d. h., wenn die folgenden Eigenschaften gelten:
- Die Menge \(U\) ist nichtleer: \[ U \neq \emptyset. \]
- Die Menge \(U\) ist bezüglich der Vektoraddition \(\oplus\) abgeschlossen: \[ \forall u,v \in U: u \oplus v \in U. \]
- Die Menge \(U\) ist bezüglich der skalaren Multiplikation \(\odot\) abgeschlossen: \[ \forall u \in U, \lambda \in K: \lambda \odot u \in U. \]
Hinweis: Die Assoziativität, Kommutativität und Distributivität der Verknüpfungen \(\oplus\) und \(\odot\) für die Elemente aus \(U\) gilt implizit aufgrund der Assoziativität, Kommutativität und Distributivität in \(\mathcal{V}\) und muss nicht separat überprüft werden. Die Existenz der additiven inversen Elemente ergibt sich aus der Abgeschlossenheit bzgl. der skalaren Multiplikation. Die Existenz des Nullvektors ergibt sich aus der Existenz der inversen Elemente und der Abgeschlossenheit bzgl. der Addition.
Notation
In der Mathematik ist es üblich, sowohl die Addition im Körper $\mathcal{K}$ als auch die Addition im Vektorraum $\mathcal{V}$ mit demselben Operator $+$ zu bezeichnen, obgleich es sich um verschiedene Operationen handelt. Analog werden die Multiplikation im Körper $\mathcal{K}$ und die skalare Multiplikation im Vektorraum $\mathcal{V}$ mit $\cdot$ bezeichnet. In der Praxis besteht im Allgemeinen keine Gefahr, die Additionen bzw. Multiplikationen zu verwechseln. Entsprechend wird der Vektorraum \(\mathcal{V}\) häufig nur als \(V\) dargestellt.
Hinweis: Wie bei der Multiplikation üblich kann der Malpunkt in vielen Fällen weggelassen werden.
Eigenschaften
Basis eines Vektorraums
Hauptartikel: Basis eines Vektorraums
Gegeben sei ein Vektorraum \(\mathcal{V}=\bigl(V,\oplus,\odot\bigr)\) über einem Körper \(\mathcal{K}=\bigl(K,+,\cdot\bigr)\). Eine Teilmenge \(B = \bigl\{b_1,\ldots,b_n\bigr\} \subseteq V\) wird Basis des Vektorraums \(\mathcal{V}\) genannt, falls gilt:
- Die Vektoren \(b_1,\ldots,b_n\) sind linear unabhängig.
- Die Vektoren \(b_1,\ldots,b_n\) erzeugen den Vektorraum \(\mathcal{V}\). Für alle Elemente \(v \in V\) existieren Koeffizienten \(\lambda_1,\ldots,\lambda_n \in K\), so dass gilt: \[ v = \lambda_1 b_1 \oplus \ldots \oplus \lambda_n b_n. \]
Dimension eines Vektorraums
Gegeben sei ein Vektorraum \(\mathcal{V}\) sowie eine Basis \(B\) von \(\mathcal{V}\). Bei der Dimension des Vektorraums \(\mathcal{V}\) handelt es sich um die Mächtigkeit der Basis, also um die Anzahl der Elemente der Basis:
Beispiele
Koordinatenraum
Hauptartikel: Koordinatenraum
Für einen Körper $\mathcal{K} = \bigl(K,+,\cdot\bigr)$ und eine natürliche Zahl $n$ bildet das $n$-fache kartesische Produkt \(K \times \ldots \times K\) einen Vektorraum über $\mathcal{K}$ – den Koordinatenraum \(\mathcal{K}^n\).
- Die Trägermenge ist die Menge \begin{align*} K^n &= K \times \ldots \times K \\[0.5em] &= \Bigl\{ \bigl( v_1, \ldots, v_n \bigr) \mid v_1, \ldots, v_n \in K \Bigr\}. \end{align*}
- Die Vektoraddition und die skalare Multiplikation werden komponentenweise definiert. Für $u,v \in K^n$ und $\lambda \in K$ gilt: \begin{align*} u \oplus v &= \begin{pmatrix} u_1 \\[0.25em] \vdots \\[0.25em] u_n \end{pmatrix} \oplus \begin{pmatrix} v_1 \\ \vdots \\ v_n \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} u_1 + v_1 \\[0.25em] \vdots \\[0.25em] u_n + v_n \end{pmatrix} \\[1em] \lambda \odot v &= \lambda \odot \begin{pmatrix} v_1 \\[0.25em] \vdots \\[0.25em] v_n \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} \lambda \cdot v_1 \\[0.25em] \vdots \\[0.25em] \lambda \cdot v_n \end{pmatrix}. \end{align*}
Matrizenraum
Hauptartikel: Matrizenraum
Für einen Körper $\mathcal{K} = \bigl(K,+,\cdot\bigr)$ und zwei natürliche Zahlen $m,n$ bildet die Menge aller \(m \times n\) Matrizen über \(\mathcal{K}\) einen Vektorraum über $\mathcal{K}$ – den Matrizenraum \(\mathcal{K}^{m \times n}\).
- Die Trägermenge ist die Menge \begin{align*} K^{m \times n} = \Bigl\{ {\bigl[ a_{ij} \bigr]}_{\substack{1 \leq i \leq m \\[0.25em] 1 \leq j \leq n}} \mid a_{ij} \in K \Bigr\}. \end{align*}
- Die Matrizenaddition und die skalare Multiplikation werden komponentenweise definiert. Für $A,B \in K^{m \times n}$ und $\lambda \in K$ gilt: \begin{align*} A \oplus B &= {\Bigl[ a_{ij} + b_{ij} \Bigr]}_{\substack{1 \leq i \leq m \\[0.25em] 1 \leq j \leq n}} \\[1em] \lambda \odot A &= {\Bigl[ \lambda \cdot a_{ij} \Bigr]}_{\substack{1 \leq i \leq m \\[0.25em] 1 \leq j \leq n}}. \end{align*}
Polynomraum
Hauptartikel: Polynomraum
Die Menge aller Polynome mit Koeffizienten aus einem Körper \(\mathcal{K}\) bildet gemeinsam mit der gewöhnlichen Addition von Polynomen sowie der (skalaren) Multiplikation mit Elementen aus dem Körper \(\mathcal{K}\) einen Vektorraum – den Polynomraum. Bei der Teilmenge aller Polynome mit einem bestimmten Maximalgrad handelt es sich um einen Untervektorraum des Polynomraums.
Funktionenraum
Hauptartikel: Funktionenraum
Die Menge aller Funktionen über einem Körper \(\mathcal{K}\) bildet gemeinsam mit der Addition von Funktionen sowie der (skalaren) Multiplikation mit Elementen aus dem Körper \(\mathcal{K}\) einen Vektorraum – den Funktionenraum. Es gilt:
Lineare Abbildung
Hauptartikel: Lineare Abbildung
Gegeben seien zwei Vektorräume $\mathcal{V} = \bigl(V,\oplus,\odot\bigr)$ und $\mathcal{W} = \bigl(W,\boxplus,\boxdot\bigr)$ über einem Körper $\mathcal{K}$. Eine Abbildung $f: V \rightarrow W$ heißt lineare Abbildung, wenn für alle $x,y \in V$ und $\lambda \in K$ die folgenden Eigenschaften gelten:
- Die Abbildung $f$ ist additiv: \[ f(x \oplus y) = f(x) \boxplus f(y). \]
- Die Abbildung $f$ ist homogen: \[ f(\lambda \odot x) = \lambda \boxdot f(x). \]