Rationale Zahlen
Bei den rationalen Zahlen handelt es sich um eine Erweiterung der ganzen Zahlen um die Menge aller Brüche. Es handelt sich bei den rationalen Zahlen somit um die Menge aller Zahlen, die als Quotient von zwei ganzen Zahlen dargestellt werden können. Die rationalen Zahlen können formal mithilfe von Äquivalenzklassen von Paaren ganzer Zahlen definiert werden. Sie können addiert, subtrahiert, multipliziert, dividiert und angeordnet werden. Gemeinsam mit der Addition und der Multiplikation bilden die rationalen Zahlen den kleinsten Körper, der die natürlichen Zahlen enthält. Die rationalen Zahlen sind eine echte Teilmenge der reellen Zahlen.
Dieser Artikel konzentriert sich auf die formale Definition und die Konstruktion von rationalen Zahlen sowie auf deren formale Eigenschaften. Details zu Brüchen können im Artikel über Brüche nachgelesen werden.
Definition
Intuitive Definition
Eine rationale Zahl $r$ ist eine Zahl, die sich als Quotient von zwei ganzen Zahlen $m,n \in \Z$ mit $n \neq 0$ darstellen lässt:
Für $n=1$ entspricht dies den ganzen Zahlen selbst. Bei der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen handelt es sich entsprechend um die Menge aller Brüche:
Hinweis: Es ist ebenfalls möglich, die Menge der rationalen Zahlen als die Menge aller Quotienten aus einer ganzen und einer natürlichen Zahl zu definieren.
Formale Definition
Die Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann formal mithilfe einer Äquivalenzrelation $\sim$ auf der Menge von geordneten Paaren ganzer Zahlen definiert werden; es gelte:
Bei der Menge der rationalen Zahlen handelt es sich um die Faktormenge (die Menge aller Äquivalenzklassen) der Relation $\sim$; es gilt:
Die Äquivalenzklasse $ {\bigl[(a,b)\bigr]}_\sim$ repräsentiert hierbei konzeptuell die rationale Zahl, die sich als Quotient $\frac{a}{b}$ ergibt.
Beispiele
Bei den folgenden Beispielen handelt es sich exemplarisch um einige rationale Zahlen, ihre zugehörigen Äquivalenzklassen sowie einige mögliche Repräsentanten:
Arithmetische Operationen
Addition
Hauptartikel: Addition von rationalen Zahlen
Auf der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann eine Addition $\oplus$, die rationale Addition, formal wie folgt definiert werden (mit $a,b,c,d \in \Z$, $b \neq 0$ und $d \neq 0$):
Subtraktion
Hauptartikel: Subtraktion von rationalen Zahlen
Auf der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann eine Subtraktion $\ominus$, die rationale Subtraktion, formal wie folgt definiert werden (mit $a,b,c,d \in \Z$, $b \neq 0$ und $d \neq 0$):
Hinweis: Die Subtraktion von rationalen Zahlen kann, wie in Körpern üblich, alternativ auch auf die Addition des additiven Inversen des Subtrahenden zurückgeführt werden.
Multiplikation
Hauptartikel: Multiplikation von rationalen Zahlen
Auf der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann eine Multiplikation $\odot$, die rationale Multiplikation, formal wie folgt definiert werden (mit $a,b,c,d \in \Z$, $b \neq 0$ und $d \neq 0$):
Division
Hauptartikel: Division von rationalen Zahlen
Auf der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann eine Division $\oslash$, die rationale Division, formal wie folgt definiert werden (mit $a,b,c,d \in \Z$, $b \neq 0$, $c \neq 0$ und $d \neq 0$):
Hinweis: Die Division von rationalen Zahlen kann, wie in Körpern üblich, alternativ auch auf die Multiplikation mit dem multiplikativen Inversen des Divisors zurückgeführt werden.
Eigenschaften
Anordnung
Die Menge der rationalen Zahlen ist total geordnet. Für rationale Zahlen gilt (mit $a,b,c,d \in \Z$, $b \neq 0$ und $d \neq 0$):
Die Anordnung der rationalen Zahlen kann folglich auf die Anordnung der ganzen Zahlen zurückgeführt werden. Bei $\sgn$ handelt es sich um die Vorzeichenfunktion, bei $||$ handelt es sich um die Betragsfunktion.
Für $b=1$ und $d=1$ gilt $\sgn(b) = |b| = 1$ sowie $\sgn(d) = |d| = 1$, woraus unmittelbar folgt, dass die Anordnung der rationalen Repräsentationen zweier ganzer Zahlen $a$ und $c$ exakt der Anordnung der ganzen Zahlen $a$ und $c$ selbst entspricht. Die Anordnungen von ganzen und rationalen Zahlen sind somit kompatibel miteinander.
Dichte Ordnung
Die rationalen Zahlen sind dicht geordnet. Das bedeutet, dass sich zwischen zwei rationalen Zahlen stets eine weitere rationale Zahl befindet – und somit implizit unendlich viele rationale Zahlen.
Seien $r_1 = {\bigl[(a,b)\bigr]}_\sim$ und $r_2 = {\bigl[(c,d)\bigr]}_\sim$ zwei rationale Zahlen mit $r_1 \lt r_2$. Dann gilt beispielsweise
Absoluter Betrag
Der (absolute) Betrag $|r|$ einer rationalen Zahl $r \in \Q$ kann wie folgt definiert werden:
Vorzeichen
Das Vorzeichen $\sgn(r)$ einer rationalen Zahl $r \in \Q$ kann wie folgt definiert werden:
Mächtigkeit
Die Mächtigkeit der rationalen Zahlen entspricht der Mächtigkeit der natürlichen Zahlen – die rationalen Zahlen sind somit abzählbar.
Die Gleichmächtigkeit der natürlichen und der rationalen Zahlen kann unmittelbar gezeigt werden, indem die Existenz von bijektiven Abbildungen $\N \rightarrow \Q$ zwischen der Menge $\N$ der natürlichen Zahlen und der Menge $\Q$ der rationalen Zahlen nachgewiesen wird. Hierzu wird zunächst das folgende Schema betrachtet, das alle positiven rationalen Zahlen, dargestellt als Brüche, umfasst.
Dieses Schema kann auf die nachfolgend dargestellte Art und Weise in einem Zickzackmuster durchlaufen werden. Es ist klar zu erkennen, dass hierbei jeder Eintrag des Schemas früher oder später exakt einmal durchlaufen wird. Da die Darstellung durch Brüche nicht eindeutig ist, weil diese durch Kürzen und Erweitern in andere Repräsentanten derselben Zahl überführt werden können, würden dieselben Zahlen beim Durchlaufen jedoch mehrfach auftauchen. Um dies zu verhindern, werden diejenigen Zahlen übersprungen, die in anderer Darstellung bereits durchlaufen wurden. Diese sind durchgestrichen dargestellt. (Alternativ könnten auch nur die Brüche verwendet werden, die in vollständig gekürzter Form vorliegen.)
Hiermit kann nun eine Abbildung definiert werden, die jeder natürlichen Zahl umkehrbar eindeutig eine rationale Zahl zuordnet – die also wie gefordert bijektiv ist. Hierfür werden die rationalen Zahlen in der Reihenfolge als Bilder der natürlichen Zahlen verwendet, in der sie im Schema durchlaufen werden – beginnend mit Null und jeweils mit positivem und mit negativem Vorzeichen.
Hinweis: Analog kann gezeigt werden, dass bijektive Abbildungen $\N_0 \rightarrow \Q$ existieren.
Körper
Die Menge $\Q$ der rationalen Zahlen bildet zusammen mit der Addition $\oplus$ und der Multiplikation $\odot$ von rationalen Zahlen einen Körper $(\Q,\oplus,\odot)$. Es handelt sich hierbei um den kleinsten Körper, der alle natürlichen Zahlen enthält.
- Die Menge $\Q$ bildet mit der Addition $\oplus$ eine kommutative Gruppe:
- Die Addition $\oplus$ ist abgeschlossen.
- Die Addition $\oplus$ ist assoziativ.
- Das neutrale Element der Addition $\oplus$ ist die rationale Zahl $0 = {\bigl[(0,1)\bigr]}_\sim$.
- Das additive Inverse der rationalen Zahl $r={\bigl[(a,b)\bigr]}_\sim$ ist die rationale Zahl $-r={\bigl[(-a,b)\bigr]}_\sim$.
- Die Addition $\oplus$ ist kommutativ.
- Die Menge $\Q \setminus \{ 0 \}$ bildet mit der Multiplikation $\odot$ eine kommutative Gruppe:
- Die Multiplikation $\odot$ ist abgeschlossen.
- Die Multiplikation $\odot$ ist assoziativ.
- Das neutrale Element der Multiplikation $\odot$ ist die rationale Zahl $1 = {\bigl[(1,1)\bigr]}_\sim$.
- Das multiplikative Inverse der rationalen Zahl $r={\bigl[(a,b)\bigr]}_\sim$ (mit $a \neq 0$ und $b \neq 0$) ist die rationale Zahl $r^{-1}={\bigl[(b,a)\bigr]}_\sim$.
- Die Multiplikation $\odot$ ist kommutativ.
- Für die Addition und Multiplikation von rationalen Zahlen gelten die Distributivgesetze.
Formale Konstruktion
Konstruktion aus den ganzen Zahlen
Für die formale Konstruktion der rationalen Zahlen wird zunächst die Menge
aller geordneten Paare $(a,b)$ zweier ganzer Zahlen $a,b \in \Z$ mit $b \neq 0$ betrachtet. Das Paar $(a,b)$ repräsentiert hierbei den Bruch $\frac{a}{b}$, der sich konzeptuell als Quotient der ganzen Zahlen $a$ und $b$ ergibt.
Auf dieser Menge kann nun eine Äquivalenzrelation $\sim$ wie folgt definiert werden:
Zwei Paare $(a,b)$ und $(c,d)$ stehen folglich genau dann in Relation, wenn die Quotienten $\frac{a}{b}$ und $\frac{c}{d}$ übereinstimmen und durch Erweitern oder Kürzen auseinander hervorgehen – wenn sie also denselben Bruch repräsentieren. Diese Definition der Relation $\sim$ besitzt allerdings ein formales Problem: Der Quotient von ganzen Zahlen $a$ und $b$ ist für den Fall, dass $a$ kein ganzzahliges Vielfaches von $b$ ist, nicht definiert, da das Ergebnis dann keine ganze Zahl ist. Um dieses Problem zu umgehen, wird stattdessen die folgende alternative Definition der Relation $\sim$ verwendet, die sich aus der vorherigen Variante durch Multiplikation mit $b$ und $d$ auf beiden Seiten der Gleichung ergibt, und somit nur noch die stets definierte Multiplikation von ganzen Zahlen verwendet:
Die Menge $\Q$ der rationalen Zahlen kann nun formal als
definiert werden, also als die Faktormenge (die Menge der Äquivalenzklassen) der Relation $\sim$.
Auf dieser Menge können eine Addition $\oplus$ und eine Multiplikation $\odot$ definiert werden, die der Addition von Brüchen bzw. der Multiplikation von Brüchen entsprechen:
Hierbei ist es insbesondere wichtig, dass die beiden Verknüpfungen wohldefiniert sind, d. h., dass das Ergebnis lediglich von den verknüpften Äquivalenzklassen, aber nicht von den gewählten Repräsentanten der Äquivalenzklassen abhängt.
Nachweis der Äquivalenzrelation
Zum Nachweis, dass es sich bei der zuvor definierten Relation \(\sim\) um eine Äquivalenzrelation handelt, muss gezeigt werden, dass die Relation symmetrisch, reflexiv und transitiv ist.
Nachweis der Symmetrie
Gegeben seien ganze Zahlen $a,b,c,d \in \Z$ mit $b \neq 0$ und $d \neq 0$. Dann gilt:
Erklärungen zu den Schritten | |
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(1) |
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(2) |
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(3) |
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Da aus $(a,b) \sim (c,d)$ stets $(c,d) \sim (a,b)$ folgt, ist die Relation $\sim$ symmetrisch.
Nachweis der Reflexivität
Für ganze Zahlen $a,b \in \Z$ mit $b \neq 0$ gilt trivialerweise $(a,b) \sim (a,b)$, da stets $ab=ab$ gilt. Die Relation $\sim$ ist somit reflexiv.
Nachweis der Transitivität
Gegeben seien ganze Zahlen $a,b,c,d,e,f \in \Z$ mit $b \neq 0$, $d \neq 0$ und $f \neq 0$. Dann gilt:
Erklärungen zu den Schritten | |
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(1) |
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(2) |
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(3) |
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(4) |
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(5) |
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(5) |
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Da aus $(a,b) \sim (c,d)$ sowie $(c,d) \sim (e,f)$ stets $(a,b) \sim (e,f)$ folgt, ist die Relation $\sim$ transitiv.
Nachweis der Wohldefiniertheit der Addition
Gegeben seien ganze Zahlen $a_1,a_2,b_1,b_2,c_1,c_2,d_1,d_2 \in \Z$ mit $b_1 \neq 0$, $b_2 \neq 0$, $d_1 \neq 0$ und $d_2 \neq 0$. Es gelte $(a_1,b_1) \sim (a_2,b_2)$ sowie $(c_1,d_1) \sim (c_2,d_2)$. Gemäß der Definition der Relation $\sim$ gelten somit die folgenden Gleichheiten:
Zum Nachweis der Wohldefiniertheit der Addition von rationalen Zahlen muss gezeigt werden, dass die Summe $(a_1,b_1) \oplus (c_1,d_1)$ äquivalent zur Summe $(a_2,b_2) \oplus (c_2,d_2)$ ist, dass also
gilt. Die kann wie folgt gezeigt werden:
Erklärungen zu den Schritten | |
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(1) |
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(3) |
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(4) |
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Gemäß der Definition der Relation $\sim$ folgt aus (4) unmittelbar $(a_1d_1+c_1b_1,\ b_1d_1) \sim (a_2d_2+c_2b_2,\ b_2d_2)$ und somit die Wohldefiniertheit der Addition von rationalen Zahlen.
Nachweis der Wohldefiniertheit der Multiplikation
Gegeben seien ganze Zahlen $a_1,a_2,b_1,b_2,c_1,c_2,d_1,d_2 \in \Z$ mit $b_1 \neq 0$, $b_2 \neq 0$, $d_1 \neq 0$ und $d_2 \neq 0$. Es gelte $(a_1,b_1) \sim (a_2,b_2)$ sowie $(c_1,d_1) \sim (c_2,d_2)$. Gemäß der Definition der Relation $\sim$ gelten somit die folgenden Gleichheiten:
Zum Nachweis der Wohldefiniertheit der Multiplikation von rationalen Zahlen muss gezeigt werden, dass das Produkt $(a_1,b_1) \odot (c_1,d_1)$ äquivalent zum Produkt $(a_2,b_2) \odot (c_2,d_2)$ ist, dass also
gilt. Die kann wie folgt gezeigt werden:
Erklärungen zu den Schritten | |
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(1) |
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(3) |
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Gemäß der Definition der Relation $\sim$ folgt aus (3) unmittelbar $(a_1c_1,\ b_1d_1) \sim (a_2c_2,\ b_2d_2)$ und somit die Wohldefiniertheit der Multiplikation von rationalen Zahlen.